Rezensionen
Galerie E&E Schneider zum Werk Wolfgang Müller 2011
Die Zeichnungen von Wolfgang Müller leben von der sensiblen Verbindung skizzenhaft angedeuteter Erotik mit der zarten Transparenz aquarellierter Farbgebung, die den Arbeiten Offenheit und schwebende Leichtigkeit verleiht. Durch die Bearbeitung mit Farbe, dem Auflegen von brüchigen Silberblättchen und dem kürzelhaften Einschreiben von Textfragmenten erhalten die Blätter auch die Dimension von Palimpsests, deren geheimnisvolle Botschaften auf ihre Entschlüsselung warten. Das pure, expressive Rot in den Gemälden des Künstlers hat sich bei den aktuellen Arbeiten auf die Ränder der Rahmen zurückgezogen, denn auf der Bildfläche wird es fast vollständig unter einer Schicht hauchdünner oxydierter Silberplättchen verborgen. Die Glut der Rottöne leuchtet nur noch stellenweise unter der bleifarbig schimmernden, glatten bis krustigen Oberfläche hervor und steigert dadurch den Eindruck von erdgeschichtlicher Energie, die unter der Oberfläche ihre Kraft entfaltet.
Galerie E&E Schneider zum Werk Wolfgang Müller 2009
Wolfgang Müller, der schon immer Zeichnen und Schreiben in seinen Arbeiten verbindet, thematisiert mit „Tusche und Feder“ in einer Serie von Papierarbeiten zum ersten Mal die Werkzeuge und Materialien seiner Kunst und schafft aus einer offenen Malerei heraus Bilder, die mit illusionistischer Körperhaftigkeit und barocken Glanz beeindrucken.
Galerie E&E Schneider zum Werk Wolfgang Müller 2007
Wolfgang Müller hat sich seit langem entschieden: für ROT. Er malt und zeichnet auf Leinwänden und Papier und verwendet diese Farbe in den verschiedensten Konsistenzen: verflüssigt, vermischt, verrührt und eingedickt, aber auch als reines, pulverisiertes Farbpigment, das er auf seine Bildträger streut oder in die Malgründe einreibt. Sein Atelier gleicht einem Labor, das allerdings nach subjektiven Antiprinzipien von Ordnung und klinischer Sauberkeit organisiert ist. Man sieht und riecht daher ganz unmittelbar die sinnliche Lust mit der Wolfgang Müller seine Tinkturen braut und an verschiedenen Arbeitsplätzen wird nachvollziehbar, wie er die Bilder in mal mehr, mal weniger gesteuerten Prozessen heranwachsen lässt. Erst wenn seine Akte, Portraits, Stillleben und freie Arbeiten von der Horizontalen in die Vertikale wechseln, können sie, gerahmt und hinter Glas autonom geworden, ihre sinnliche Kraft frei entfalten.
siehe Galerien: E&E SchneiderRainer Braxmaier, Mai 2002: Rote Pigmente, Blattgold, Schellack, Leinöl, Leim, Asche, Dispersion, Blüten, Kohle, Grafit, Sepia, Fotofolie auf Papier und Leinwand
Blutrote Werke verkörpern Passion und Melancholie Müller, der vor zehn Jahren den Kunstpreis der Stadt Bühl erhielt, hat sich wie kein anderer der Farbe Rot verschrieben. Seit vielen Jahren lotet er die formalen wie stimmungshaften Möglichkeiten dieser viel strapaziertenFarbe aus. Der Künstler hat seine Erkundungen verfeinert, individualisiert und ganz auf sein Temperament zugeschnitten. Sein Rot ist dunkel, von blutvoller Tiefe und Schwere, verkörpert Melancholie ebenso wie Sinneslust und festiche Pracht. Die großen Bildtafeln kommen nahezu ohne Binnenzeichnung aus, zeigen die Farbe auf krustigen Oberflächen, auf die Farbe wie Schnee gefallen ist. Erst nach und nach entdeckt der Betrachter die Unterkonstruktion, eine weitere persönliche Bildfindung des Malers. Er, der das Rot so kostbar mit einem eigens gemischten Pigment zelebriert, hat auch für den formalen Kontrast das Edelste gefunden: Gold-Blättchen, die er der Oberfläche im Wortsinn „einverleibt", malerisch noch überarbeitet, bis sie eine gleichsam organische Verbindung mit dem Rot eingegangen sind. Mehr benötigt der Bühler Künstler nicht, um eine Fülle von Assoziationsmöglichkeiten zu schaffen. Beinahe naturgemäß werden die Gedanken auf Blut und Opfer gelenkt. Müller unterstützt diese Assoziation dezent, indem er Asche in die Bildoberfläche mit einarbeitet und das Bild „Lebensasche" nennt. Die von ihm geliebte Form des Diptychons (Doppelbild) nährt darüber hinaus den klerikalen Bezug. Dazu kommt eine nahezu unendliche Raumtiefe: Die Bilder bannen fast sogartig den Blick des Betrachters. In den kleineren Papierbildern zeigt sich der Maler lebhafter und spritziger. Diese Werke sind offen, lassen ihr Bildgerüst erkennen, und zeigen, dass der Künstler durchaus gegenständliche Phantasien hat. „Rotes Kleid", „Liebesstück" und „Liebeskugel" bilden einen denkbar weiten inhaltlichen Kontrast zu den großen, schweren Leinwänden, obwohl der Maler immer noch der gleichen Farbe vertraut: dem Rot. Doch nun tritt als Element eine quirlige, schnell überfahrende Handschrift hinzu mit geradezu seismographischen Ausbrüchen: Hier erzählt jemand überaus lustvolle Lebensgeschichten voller Temperament und Freude am Licht. Wolfgang Müller entlässt sich jedoch auch dabei nicht aus der strengen künstlerischen Disziplin: Neben dem Rot und dem Kreidestrich gibt es nur Leinöl und Schellack, zwei organische lichtvolle Flüssigkeiten, die leicht und durchlässig Verbindung zum papiernen Untergrund herstellen. Aus der Notation malerischer Gedanken wird ein „Aufschreiben" von Empfindungen.
Die Kunsthistorikerin Dr. Kirsten Voigt hielt die Einführungsrede zur Ausstellung „Wolfgang Müller" im März 2011 in der Galerie Knecht und Burster in Karlsruhe
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Dinge wehren sich mitunter heftig dagegen, zu, was sie scheinen. Das macht sie zu
höchst erfreulichen und Vertrauen erweckenden Erscheinungen. Wer sonst wehrt sich heute schon gegen den Schein? Die Dinge tun es, verlässlich, in aller Ruhe, beständig, objektiv. Sie lassen ihn abgleiten, statt sich in ihm zu sonnen. Manche Kunstwerke tun das auch.
Bilder, die rot sind, immer und immer wieder, mal wolkig, mal opal, mal pudrig, mal rau, mal glatt glänzend, mal matt, scheinbar tiefer oder flacher, verspielter oder gesetzt, immer höchst verletzlich, ein Maler, der sich 30 Jahre lang mit der Farbe Rot auseinandersetzt – nur mit der Farbe Rot – und dabei schließlich eben diese gegenstandslosen Bilder schafft, das scheint ein Fall „konzeptueller Malerei“ zu sein.
Der Schein trügt.
Wolfgang Müllers Bilder sind weder konzeptuell noch überhaupt Malerei. Sie verdanken sich keiner Strategie, keiner Versuchsanordnung, keiner Projektidee, keiner asketischen Konstruktion von definierten Arbeitsbedingungen. Sie sind nicht Teil eines Plans, einer zielführenden Selbstanweisung, sondern Produkte einer unverschämt obsessiven, andauernden, anhaltenden, ausgleichenden Lust. Sie sind Zeugnisse purer Sinnlichkeit, einer ganz persönlichen Passion, einer Leidenschaft ohne Leid, Enttäuschung, Entbehrung, Einschränkung, einer Liebe zum, Vorliebe und Begeisterung für das Rot und nur das Rot. Es strahlt, leuchtet, schimmert, glüht, expandiert und zieht sich zurück. Es wärmt, umwölkt den Blick und fordert, besticht, überreizt, saugt an und nimmt in sich auf. Für Wolfgang Müller heißt das heute nach Jahrzehnten, in denen er treu blieb, sich in es hineinarbeitete, es ihm zum fast täglichen Begleiter wurde: „ Das Rot hat etwas mit mir zu tun, es gehört zu mir. Ich glaube, es ist alles andere als aggressiv, es ist warm“.
Alles andere ist Anekdote. Das kleine ,grüne Bild, das in seinem Atelier hängt, gleich rechts neben der himmelblauen Metalltür, durch die man eintritt, über Kopf, ziemlich weit oben und etwas blass geworden im Angesicht von so viel es umgebendem , komplementären, vitalem Leuchten – Mischungen, Schattierungen, Dialogen von Alizerin, Irgazin, Rubin, Quindo-Rosa und -Rot, Scharlach oder Karmin. Fas Grün ist lediglich das zaghafte Ergebniseines offensichtlich einmaligen, um nicht zu sagen anfall-
artigen Selbstversuchs, das den Maler immer wieder zum Schmunzeln, zum skeptischen Staunen bringt. Das Grün hat nichts mit ihm zu tun, hängt da wie ein fahles Fragezeichen, ein Farbe gewordenes Nicht-Ich, das Andere, das Unverständliche, das Wesensfremde. Es löst bei seinem Urheber leises Kopfschütteln aus und wird von ihm ein wenig mitleidig geduldet und belächelt.
Wolfgang Müller ist ein Künstler, der so sympathisch bei sich und in seiner Farbe, seinem Element angekommen ist, dass man von dieser in sich ruhenden, freundlichen Zufriedenheit, von dieser Ausgeglichenheit unmittelbar angesteckt wird, sobald man sein Atelier betritt. Er trägt in seinen Bildern keine Kämpfe aus, streitende Elemente existieren nicht, die Bilder sind monochrom, monoelementar, und die Aktion des Malers konzentriert sich auf die Vermittlung des minimal Divergierenden, die Schaffung des sanften Übergangs, die Frage danach, wie viel Bewegung die Ruhe braucht, um als solche wahrgenommen zu werden. Gerade einmal so viel Impuls wie ihn der einzelne Gongschlag während einer Meditation vermittelt.
Während Müllerfrüher noch der Geste freien Lauf ließ – mitunter einmal ein Körper auftauchte, ein Rahmen, ein Raum, der von zeichnerischen Bewegungen durchmessen wurde – ist heute nichts mehr aufgewühlt, nichts mehr zeichenhaft in seinen Werken.
Vielmehr deponiert und komprimiert Müller in seinen Bildern Energie, er stapelt sie
schichtend in andersfarbigen Untermalungen und den Pigmentlagen. Ich sagte vorhin, diese Bilder seien noch nicht einmal Malerei – tatsächlich sind viele von ihnen „gepulvert“, wie müllersagt, d.h. es wurden Pigmente auf die Untermalungen und Bindemittel gestreut, die Bildfläche gleichsam gepudert mit Farbe. Heute wird Müller handgreiflich und reibt die Pigmente mit den Händen fest in die Fläche ein.
Wenn er nach einem Tag in seinem Atelier oben auf der stählernen Wendeltreppe sitzt, auf die Bilder hinunterschaut, wartet, beobachtet, was sie mit dem Licht und mit ihm tun, dann kann er darauf setzen, dass das Rot ihm ein Gefühl zurückstrahlt, einleuchtend, wohltuend, etwas wie Sicherheit, Vertrauen, Zuversicht sich einstellt. Fraglos ist dies eine Art Urvertrauen in die eigene Lebensenergie.
Rupprecht Geiger, der ganzoffenbar ein wenig seelenverwandt mit Wolfgang Müller war ,sagte über seine Farbe :“ Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft.
Mit ihrer Fähigkeit zu stimulieren, ist sie in machtvoller Funktion“.
Vermutlich kann jeder über das kollektive, teils vereinbarte Farb – Verständnis hinaus seine Geschichten von Farben erzählen.
Meine Geschichte vom Rot ist eine solche aus frühesten Kindertagen, in denen ich meine Hände gegen die Sonne hielt und merkwürdig berührt und angetan war von dem, was ich sah: Meine Hände leuchteten rot, intensiv, durchscheinend dennoch, besonders deutlich entlang der feinen Linien ,die sich an den ganz schmalen Zwischenräumen zwischen den zusammengelegten Fingern ergaben. Ich weiß noch, wie ichmeinen Vater doch ziemlich aufgeregt fragte, was er von dieser merkwürdigen Angelegenheit hielt. Dass Blut durch meine Finger floss, war mir bis zu seiner Erklärung wohl nicht derart bewusst gewesen. Und schon gar nicht, dass man es verletzungsfrei sehen konnte, wenn die Sonne zu Hilfe kam. Ich fand das fabelhaft interessant.
Wolfgang Müllers Geschichte vom Rot war vor 30 Jahren die eines neuen Lebensgefühls und einer Vitalität, die sich nicht verflüchtigt hat. Seine Geschichte vom Gold, das uns in einigen seiner Bilder begegnet, reicht noch weiter zurück. Sie verbindet sich vor allem mit der Erinnerung an die goldgefassten Barockskulpturen in der Rastatter Stadtkirche St. Alexander. Großartig, strahlend, feierlich und sogar heimelig war dieser Eindruck, denn man ging jeden Sonntag in die Kirche. Und so begegnen sich Gold und Rot –manchmal zu Diptychen komponiert – in seinen Bildern zu einem festlichen, vertraulichen Klang. Die feinen Fugen zwischen den Blattgold-Blättchen verheißen ein Dahinter, hinter dem Scheinen, vielleichtgeben sie dem Heiligen aber auch eine Art Körper und Gefäßsystem. Die Werktagseite dieser Kunst – um es in Entsprechung zur Verwandlung mittelalterlicher Altäre zu sagen – operiert mit oxidiertem Silber. In feinen Blättchen, aufgebracht wie das Gold, mutet es durchaus kantig, irdischer, härter, kühler, alltäglicher an als das edlere Metall. Gleichwohl ist sein spröder Charme uns nahe und beträchtlich.
Während Yves Klein, der große Propagandist der Monochromie und freilich auch ein eklatanter Farbsymbolist mit seiner Beschränkung auf Blau und Gold, ganz auf die überirdischen Sphären abhob-bei aller Sinnlichkeit, die er dem weiblichen Körper entlehnte-, konfrontiert Müller das Transzendente mit dem geradezu fundamental Materiellen, dem Rot, das aufs Innerste weist, den glühenden Kern der Erde und den pulsierenden Fluss in unseren Körpern.
Vielleicht entspricht auch die Beschäftigung mit dieser Farbe auch deshalb dem Hineintauchen in einen tiefsten Weltinnenraum, der uns der nächste, ureigene ist und den wir jederzeit simulieren können – mit dem Gesicht zum Fenster, unter freiem Himmel oder bei ausreichender Beleuchtung im Raum, wenn wir die Hände mit geschlossenen Fingern gegen die Lichtquelle halten. Müllers Bilder exponieren und verallgemeinern diese Selbst- vielleicht Urerfahrung, sie objektivieren und expandieren sie zu Sehstücken, die uns einladend entgegenleuchten - ohne Absicht, ohne Schein.
Dr. Kirsten Voigt
Ein Zitat von Ernst Jünger zur Farbe Rot
„Rot ist unser irdischer Lebensstoff;
wir sind ganz und gar ausgekleidet mit ihm.
Die rote Farbe ist uns daher nahe – so nah,
dass zwischen ihr und uns kein Raum zur Überlegung besteht.
Sie ist die Farbe der reinen Gegenwart;
Unter ihrem Zeichen verständigen wir uns auf sprachlose Art“.